Diesen Embrio-Baumstumpf habe ich im Allgäu entdeckt... im Alten ist schon das Neue verborgen.
Seit vielen Jahren schreibe ich für die Eltern meiner Kita im Telos-Kinderhaus und im Telos-Entfaltungs-Wald-Dachsbau kurze Geschichten aus meinem Alltag mit den Kindern. Manchmal gelingt mir etwas sehr gut, manchmal weniger gut - wobei es bei "gut" schon gut losgeht: Für wen denn "gut"?
Für das Kind. UND für mich. Und für alle, die in der Kita leben, also für die Gemeinschaft.
In diesem Blog gebe ich Werkzeuge weiter, die mir geholfen haben, Kinder so zu begleiten, dass sich MEIN Schöpfungs-Prozess voll auslebt: Nämlich der, Kinder auf ihrem Weg zur freien Entfaltung zu begleiten.
Viel Freude beim Lesen wünscht Veronika Seiler
Ein Papa berichtete, dass sein Kind zur Zeit gar nicht mehr gerne in die Kita kommen mag, weil es nun schon des Öfteren von seinem Freund in der Toilette eingesperrt wurde.
Sowas kommt immer mal wieder vor: Kinder, die sich mögen, machen einen kleinen Schabernak. Ihnen macht dies Freude, aus lauter Jux und Tollerei gehen sie über die Grenze des anderen hinaus - und merken gar nicht, in welche Nöte das andere Kind dabei kommt. Gut, wenn ein Kind das erzählen kann! Gut, wenn die Eltern sofort reagieren und dies der Kita erzählen!
Wir beschlossen, dieses Thema noch am gleichen Tag mit den Kindern zu besprechen. Und zwar mit der "Heilgeschichte". Ich mag dieses Entfaltungs-Hilfsmittel sehr sehr gerne! Ich erzähle immer gerne Geschichten. Und so war es an diesem Tag:
Nach dem Adventslied war die Stimmung sehr friedlich und harmonisch. "Ich möchte euch etwas erzählen," begann ich. "Dafür brauche ich eure Hilfe!" Die Kinder waren präsent! "Ich denke jetzt an was - und ihr sagt mir, welches Tier dafür passt." Als ich mir das Kind vorgestellt hatte, dass das andere in Bedrängnis bringt, sagte ich "jetzt" - und die Kinder nannten Tiere. "Zufällig" (! …und das meine ich wirklich so: Wobei einem immer das "Richtige" zu-fällt) saß dieses Kind genau neben mir - es hatte sich diesen Platz zuvor schon gewählt. Ich hörte, wie es "Frosch" sagte. Weil es sich nicht meldete, nahm ich ein anderes dran. Auch dieses sagte "Frosch". Ebenso verfuhr ich mit dem anderen Kind (das eingesperrt wurde), für welches der Hase gewählt wurde. Und so begann ich. "Es war auf einer schönen Wiese neben einem kleinen Wäldchen, ein Bach plätscherte auch…" Ich erzählte vom Frosch, der den Hasen so gerne mag. Und wie sie gerne miteinander spielen und froh sind, auch schon mal gemeinsam auf dem Jahrmarkt waren. "Warum auch immer: Heute wollte der Frosch mit jemand anderem spielen, mit…" - die Kinder wählten dafür die Maus. "Ich weiß nicht, warum - jedenfalls wollten Frosch und Maus heute einen Schabernak machen…" Ich berichtete, dass die beiden den Hasen, der sich unter einer Fichte mit herunterhängenden Zweigen in Stille zurückgezogen hatte, mit Ästen einsperrten. Ich schilderte die schreckliche Angst des Hasen, bei der die Kinder zu lachen anfingen - manchmal ist es schwer, ungute Gefühle so hautnah aushalten zu müssen. Lachen ist eine gesunde Reaktion. Gemeinsam überlegten wir, wie es wem geht, was getan werden muss. Es musste ein Helfer her! Der Biber. Immer griff ich die Anregungen und Ideen der Kinder auf. Der Biber brachte schon eine gute Klärung mit sich. Als ich fragte, ob es dem in der Zwischenzeit nun wieder befreiten Hasen wieder gut geht, nickten alle - nur nicht das Kind, für welchen der Hase stand! Also war es noch nicht gut - ich entschied, dass die Geschichte weitergehen muss. Ich erkannte plötzlich, dass der Hase es nicht mag, wenn Frosch mit jemand anderem als mit ihm spielt. Also erzählte ich dies. In dem Moment hörte ich ein Kind leise "Einhorn" sagen. Als ich es aufrief, traute es sich nicht mehr - doch ich griff das Einhorn auf. Dieses kam und streute nach einer kleinen Weile seinen besonderen Heilsand in das Herz des Frosches: Ich neigte mich spielerisch zu diesem Kind, für das der Frosch stand, und streute symbolisch Heilsand in sein Herz. Es schaute mich groß an! "Das Einhorn streute auch Sand in das Herz des Hasen, damit seine große Angst vergeht!" und neigte mich auf meine andere Seite - hier saß nämlich ebenso "zufällig" dasjenige Kind (der bedrängte Angst-Hase) - und streute auch hier Heilsand. "Ist es jetzt gut?" fragte ich und schaute das Kind direkt an. "Ja!" antwortete dieses Kind mit klarer Stimme. In diesem Moment brach die Spannung der gesamten Gruppe und alle begannen erleichtert, zu plappern und zu zappeln. Ende der Geschichte… fast!
… denn am nächsten Tag berichtete der Vater des Kindes, dass sein Kind heute sehr froh und heiter in die Kita gegangen war! Ich liebe Heilgeschichten!! Obwohl niemand weiß, wer gemeint ist, ahnen die Menschen es, und die Seelen der Kinder wissen sowieso, um wen es geht. Niemand wird bloß-gestellt, die guten Gedanken kommen da an, wo sie gebraucht werden.
Vielleicht sollten wir uns öfter Heilgeschichten für die Welt erzählen? Ich bin dabei! (Veronika Seiler)
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Der Finger-/Nasentest, 17.10.2023
Du benötigst:
Vertrauen
Vertrauen ins Kind
Vertrauen ins Leben
Lust mal was anders zu machen
Die kalte Jahreszeit hat begonnen. Wir Erwachsene wissen aus Erfahrung, dass es kalt sein kann, auch wenn die Sonne scheint. Das ist also anders, als noch letzte Woche: Da war es wirklich warm, als die Sonne schien.
Wir Erwachsene möchten, dass unser Kind gesund bleibt. Zum einen, weil sich Gesund-sein schöner anfühlt als Krankheit. Zum anderen, weil wir wollen, dass es unserem Kind gut geht (siehe erster Punkt). Und auch, weil wir möchten, dass es uns gut geht: Einigermaßen durchschlafende Nächte (statt das Kind mit verstopfter Nase trösten...), einigermaßen gutgelaunte Kinder (statt ein grantelndes, weil es ihm nicht gut geht) - und auch möchten wir, oder müssen wir, in die Arbeit gehen... was nicht so gut geht, wenn das Kind krank ist. Alles also berechtigte Gründe, dass das Kind gesund bleiben soll!
Gleichzeitig sind die Kinder im Kita-Alter dabei, selbständig zu werden, ihre Selbstwirksamkeit zu entdecken, sprich: Eigenständig entscheiden zu wollen, was ihnen gut tut.
Was also hat Vorrang? Juhu: Das ist gar nicht so wichtig, denn es ist ganz einfach, beides miteinander zu verbinden - dank des Finger-Nasen-Tests. Dieser begleitet uns schon viele Jahre in unserem Kita-Leben. Und so geht er:
Wir gehen davon aus, dass das Kind gesund bleiben möchte. (Wenn dem nicht so ist, dann haben wir es mit einem klassischen Fall von "Entmutigung" zu tun. Darüber wann anders mehr.)
Wir gehen davon aus, dass das Kind lernen möchte, Neues erfahren möchte.
Wir gehen davon aus, dass das Kind zur Mitarbeit bereit ist - das Kind möchte hilfreich tun, was die Sachlage erfordert (wenn nicht: Entmutigung).
"Schau mal, die Sonne scheint und es ist trotzdem kalt. Der Herbst ist da." Die Erwachsene weist das Kind nebenher auf die neue Temperatur hin.
Das Kind zieht sich an - je nach Alter und Temperament kann der Erwachsene hier gut die Weichen stellen, sprich: Die passende Kleidung herreichen.
Das "störrische" Kind, also das Kind, das seine Ich-Kraft entdeckt hat, wird das anziehen, was es will - bzw. das nicht anziehen, was die Erwachsene will. Okay.
Je nach Temperatur (Wetter) sagt die Erwachsene sachlich: "In 5 (3) Minuten komme ich und mache den Finger-Nasen-Test". Nach dieser Zeit macht sie das.
"Lass mich mal deine Nase fühlen... und deine Fingerspitzen." Sollten diese kühl oder gar kalt sein, erklärt der Erwachsene dem Kind, was gerade im Körper geschieht: "Du hast einen tollen Körper! Der ist gerade dabei, das Wichtigste in deinem Herzen zu schützen: Dein Herz. Ganz viel Blut geht zu deinem Herzen hin, um es zu wärmen, denn das ist dein Motor. Deshalb sind die Finger und die Nase kalt, weil da nur noch wenig Blut ist." Und nun kommt die entscheidende Frage, wobei der Erwachsene selbstverständlich von einem "Ja" als Antwort ausgeht: "Magst du deinem Körper helfen? Was kannst du also tun?" Jungen Kindern (2 Jahre) hilft man drauf, älter wissen es selbst: Wärme zuführen - Jacke an oder zu machen, Mütze auf... manche ziehen sich Handschuhe an (da hilft dann die Erklärung, dass ja das Herz mit der Wärme geschützt werden soll und nicht nur die kalten Finger). - Ein Kind, das sich nicht schützen mag... genau: Ist vielleicht ein "entmutigtes" Kind. Da muss dann also erstmal das Entmutigende entfernt werden, bevor der Finger-Nasen-Test wirken kann.
Es geht beim Finger-Nasen-Test um die Sache - Gesund-bleiben - und nicht um einen Machtkampf. "Mutige" Kinder sind immer bereit, um einer richtigen/wahren Sache willen mitzumachen. Mit Hilfer des Finger-Nasen-Tests auf Augenhöhe mit dem Kind macht das Anziehen im Winter wieder Spaß! (Veronika Seiler)
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Der wahre Grund hinter der Verweigerung, 10.10.2023
Du benötigst:
Einfühlung
etwas Zeit
Lust auf eine friedliche Lösung
Als wir uns heute für unseren großen Kreis (die große Telos-Blume der Kindergartenkinder) im Apfelbaumzimmer sammelten, war da eine Pfütze am Boden. Meine Kollegin bat ein Vorschulkind, dem aus Versehen die Flasche umgefallen und ausgelaufen war, das wieder aufzuputzen. Ich kam dazu, als die Kollegin, umringt von anderen Kindern und Aufgaben, das Kind mehrfach bat, doch jetzt endlich aufzuwischen. Das Kind schüttelte nur stumm den Kopf und blieb sitzen. Ich fragte, ob ich übernehmen soll, und schaltete mich ein. Auch meine Bitten wurden nur mit stummen Kopfschütteln quitiert. Ich merkte, wie sich mein Geduldsfaden spannte... So ging ich zu den Wahlmöglichkeiten über... Doch auch die hatten keinen Erfolg. Ich wurde ärgerlich - mehr und mehr Kinder strömten herein, eines trat schon mit dem Socken in die Pfütze. So spurtete ich zu dieser Pfütze und stellte mich schützend darüber: Ich wollte schon die gesamte Gruppe um Hilfe bitten (was aber in dem Moment nicht möglich war), sagte also aus der Entfernung zum Kind: "Ich glaube, du willst mich und uns ärgern!" Also, sehr gelassen habe ich bestimmt nicht geklungen. Das Kind schaute mich nur mit großen Augen an. "Ja, was ist denn dann?!! Warum putzt du denn nicht endlich auf?!!!" Das Kind deutete stumm auf seinen Platz. Warum es weder vorher noch jetzt nicht redete, weiß ich nicht. Jedenfalls verstand ich es plötzlich auch ohne Worte: Es wollte unbedingt an dieser Stelle im Kreis sitzen und hatte Sorge, dass, wenn es jetzt einen Putzlappen holt, der Platz von neu hereinströmenden Kindern dann besetzt sein könnte. Kurzerhand wickelte ich meinen Schal ab, warf ihn dem Kind (aus Versehen) auf den Kopf statt in seine Arme und sagte: "Okay! Reservier dir hiermit deinen Platz!" Einen Moment schien das Kind verblüfft, legte dann meinen Schal und seine Trinkflasche auf seinen Platz, holte einen Lappen und wischte auf. Währenddessen achtete ich darauf, dass diese Platzreservierung trotz Kreis-Verschieben und -Vergrößern erhalten blieb. Fertig!
Innerlich wunderte ich mich dann wieder mal, warum wir es uns selbst so schwer gemacht hatten, und nicht vorher gefragt hatten, warum das Kind, das wir sonst als hilfsbereit kennen, diesmal nicht das tat, was die Sachlage erfordert hatte. Vielleicht war es das Gefühl, jetzt vermeintlich keine Zeit dafür zu haben, die Situation ganz zu verstehen... Nur: Die Situation hatte so viel länger gedauert, als wenn meine Kollegin und ich sofort kurz und knapp uns in das Kind **eingefühlt **hätten und sein **Bedürfnis erfühlt und **verstanden hätten.
Manchmal ist es einfach, Bedürfnisse einzelner zu erfüllen, die gleichzeitig eine friedliche Lösung für die gesamte Gruppe bewirken. (Veronika Seiler)
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Geschwister unter sich, 07.10.2023
Du benötigst:
Einfühlung
Vertrauen
klare Entscheidung
Lust auf sich Zeit nehmen
Ein Geschwister haben ist wundervoll! Und so sieht das dann aus:
Ein Geschwister haut das andere… zwickt das andere massiv in die Backe… beschützt das andere… redet für das andere… stellt sich vor das andere… Wir haben immer wieder Geschwister-Paare in der Kita. Und immer können wir diese beiden Gegensätze beobachten: Die Geschwister-Paare sind ein wundervolles Team - indem sie sich darin unterstützen, die jeweilige Einzgartigkeit jedes von ihnen bemerkbar zu machen. Denn das ist das Ziel eines jeden Menschen: In seiner schönen Einzigartigkeit wertgeschätzt zu werden.
Was also ist die Aufgabe von uns begleitenden Erwachsenen? Die Einzigartigkeit jedes dieser Kinder von Herzen zu sehen… und dafür Ort und Gelegenheit schaffen, dass jedes Kind seine persönliche Einzigartigkeit auf positive Art und Weise leben kann… Und den Geschwisterstreit nicht so ernst nehmen.
Geschwister unter sich sind ein großartiges Team, sieht aus wie eine Perlenkette! Wir Eltern sollten dieses Team (die Kette) wertschätzen - und ebenso jede Einzelne dieses Teams, also jede einzelne Perle. (Veronika Seiler)
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Achtsamkeit bei der Regelvermittlung, Sept. 2023
Du benötigst:
Achtsamkeit für die Regelvermittlung
Zugegeben: Manchmal ist es wirklich mühsam, Kinder immer und immer wieder an bestimmte Dinge zu erinnern. Sie sollen die Schuhe und Jacken ordentlich aufräumen, ihre Trinkflaschen in den Rucksack stecken, sie sollen an der ruhigen Schaukel sanft schaukeln, im Flur langsam gehen, ordentlich essen, rechtzeitig auf die Toilette gehen… Es gibt schon eine ganze Menge Regeln und Grenzen, die ein Kind zu beachten hat. Es sind Dinge, die das Zusammenleben von vielen Menschen erleichtern oder gar erst möglich machen.
Wieso müssen wir das manchmal so oft wiederholen? Mir fallen grade drei Günde ein:
Manchmal reden wir prinzipiell viel zu viel (auf die Kinder ein). Dann schalten diese einfach ab. Vor lauter Worten können sie das nicht mehr herausfiltern, was wirklich Bedeutung hat. => Wenig reden. Leise und "mit wichtiger Stimme" sprechen. Mit dem Kind reden (nicht auf es herab).
Manchmal sind wir einfach nicht bei der Sache, vielmehr beim Kind. Wir sprechen zwar in Richtung Kind, sind aber in Gedanken viel mehr ganz woanders. Kinder fühlen noch mehr als sie verstehen: Sie fühlen also, dass wir nicht ganz bei ihnen sind. Das kann ja - in ihrer Logik - nur bedeuten: Ist also nicht so wichtig. => Wichtige Dinge (Regeln) nur dann sagen, wenn wir uns zuerst ganz bewusst auf das Kind konzentriert haben.
Manchmal sind wir einfach nur müde… vom vielen "Kinder-erziehen". Uff, schon wieder muss ich ihm eine Regel vermitteln. Ich kann nicht mehr und hab auch gar keine Lust mehr… Das Kind spürt dann unsere Lustlosigkeit. "Klar - keine Lust auf Regeln!!" => Keine Regel vermitteln, wenn wir nicht (mehr) können. Die Regelvermittlung aufheben für einen "wachen" Moment (auch das Kind muss wach sein).
Viele Freude beim achtsamen Blick auf die Regelvermittlung wünscht
Veronika Seiler
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Gütige Worte, 29.09.2023
Du benötigst:
Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit
Bekannt ist der pädagogische Ausdruck "ein Kind ist muttertaub". Was bedeutet, dass das Kind der Mutter nicht mehr richtig zuhört (weil sie - angeblich? - zu viel redet und das Kind abschaltet). Ich möchte diesen Satz ausweiten auf alle Menschen, die Kinder begleiten, mich eingeschlossen. Immer wieder ertappe ich mich, dass ich zu viel rede. Also braucht es mich nicht zu wundern, wenn das Kind mir nicht richtig zuhört und nicht das macht, was Sache ist. Und so war es heute: Kinder hatten sich freiwillig dazu entschieden, bei der Telos-Blume (Versammlung) mitzumachen. Diese beginnt immer damit, dass wir die Stille hören. Zwei Kinder waren nicht still, sie prusteten und plapperten munter weiter. Zweimal ermahnte ich sie zur Stille (das war genau einmal zu viel) - dann spürte ich, wie mir innerlich ein leichter Ärgerknopf aufgeht. Da ich mich mittlerweile gut kenne, weiß ich, dass dieser mich auffordert, jetzt gezielt und achtsam zu sein. So sagte ich ruhig, indem ich ein Kind ansprach mit Namen und es anschaute: "Du hast dich entschieden, hier zu sein. Also sei leise (denn es kennt ja unseren bekannten Ablauf). Ein weiteres Mal sage ich nichts, sondern deute nur noch auf die Türe, dass du dann gehst." Das Kind drehte spassig den Kopf hin und her. "Lars! Verstehst du mich?!" Jetzt schaut das Kind mich an - ich schaute ernsthaft zurück (ohne die Worte nochmal zu sagen). Es nickte. Und gut war's . Ebenso beim zweiten Kind. Ein einziges Mal schaute ich bewusst in ihre Richtung, und sie erinnerten sich sofort an korrektes Verhalten. Natürlich kamen sie dann auch dran beim Erzählen und Lieder-Auswählen!
So geht's: Sich selbst kennen(lernen) - wissen, was man will (die Regeln) - sie einmal sagen (oder erinnern) - ein weiteres Mal ganz achtsam und ernsthaft das Kind direkt ansprechen! - Folgen in aller Ruhe sachlich eintreten lassen, wenn nötig.
Und wo ist die Ehrlichkeit? In mir. Wenn ich echt, ganz ehrlich etwas will (z.B. bei der Telos-Blume selbst dabei sein) - dann gilt es, was ich zu sagen habe, dann ist es spürbar für die Kinder. Wenn ich aber unbewusst eigentlich etwas anderes will (z.B. im Büro meine Ruhe haben und NICHT bei der Telos-Blume dabei sein), dann bin ich mir selbst gegenüber unehrlich. Gut möglich, dass das Kind dann *meine *Unehrlichkeit lebt.
Viel Freude beim Kinderbegleiten wünscht Veronika Seiler
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Du benötigst:
etwas Zeit
Gelassenheit
Vertrauen
Vertrauen in innere Bilder
innere Sicherheit
Es hat mehrere Gründe, warum Kinder mehr und öfter weinen, als wir Erwachsenen: Der wichtigste Grund scheint mir der zu sein, dass sie ihren Gefühlen einfach noch freien Lauf lassen! Egal, ob das Kind sich schmerzhaft am Tisch angestoßen hat, ob es mit einem anderen Kind zusammengestoßen ist, ob es gestolpert und hingefallen ist, ob es sich ganz arg ärgern musste und vieles mehr… das Kind weint. Es weint herzhaft und laustark; oder leise und in sich gekehrt. Mir ist Weinen viel lieber, als wenn das Kind sich die Tränen verkneift oder sogar wegrennt und alleine sein will.
Das weinende Kind tröste ich so: Nachdem ich mit sehr kurzem Blick - manchmal sogar einfach nebenher und unauffälli - geckeckt habe, dass das Kind keine Verletzung hat, die versorgt werden muss, gehe ich in die Hocke oder nehme das Kind auf den Schoß (wenn es dies mag). Ich bin still… Ich atme… Manchmal lege ich meine Hand auf den Rücken des Kindes, ganz sanft, ganz still…. Ich sitze nur da… Wenn ich ganz im meiner Ruhe angekommen bin, dann bin ich so weit, dass ich mir die Mutter (oder den Vater) des Kindes vorstellen kann; dann sehe ich die Mutter bei uns… Ganz nah ist sie. Auch sie "sagt" in meiner Vorstellung nichts, auch sie fragt nicht, was denn passiert sei und auch sie macht keine Vorwürfe, sie ist nur da mit ihrer mütterlichen Nähe und Geborgenheit. Und das ist IMMER der Moment, in dem das weinende Kind erleichtert aufseuzt und loslässt und entspannt. Trost braucht keine Worte. Trost braucht Nähe, Dasein, Weinenlassen, Trost braucht Liebe.
Die Kinder, die sich weinend und leidend verstecken, die mich nicht an sich heranlassen, akzeptiere ich! Ich gehe dann nur so nah an sie heran, wie ihr innerer Schutzwall erlaubt, mich heranzulassen. Das spüre ich sofort. Ich gehe nur so weit heran, wie es für das Kind wirklich gut ist. Dann bin ich an dieser Stelle - so weit sie auch weg sein mag! - da. Manchmal (wenn sie die Augen zu haben) sage ich leise "ich bin da". Ich bin da mit meiner Nähe, ich lasse das Kind weinen. Auch jetzt stelle ich mir die Mutter (oder den Vater) vor. Ich merke, wenn dieser mein Trost ankommt beim Kind, wenn die mütterliche Liebe beim Kind angekommen ist.
Irgendwann ist es für beide wieder gut! Und dann - ja dann ist es mir ebenso wichtig - das Kind wieder zu entlassen! Ich "brauche" kein Kind, das ewig auf meinem Schoß sitzt. Ich spüre, wenn das Kind wieder offen ist und Interesse zeigt an der Umwelt. Oder wenn es fertig ist mit Weinen. "Fertig?" frage ich. Meist rutscht das Kind jetzt fertig getröstet von meinem Schoß - und weiter geht's. Die Kinder, die jetzt klammern, die brauchen etwas anderes, als "nur" einen kleinen Trost von mir. Die sollen aber auch nicht die Erfahrung machen, dass dieser kleine Trost alles ist, was ich geben kann. Diese Kinder wollen ja, dass ich ihre unbewusste Botschaft, ihren Hilferuf, wirklich verstehe! Dann war die kleine Verletzung der wichtige HInweis für mich, mich dem Kind genauer zu widmen… Auf eine Weise, dass es sich nicht mehr "verletzen" muss, um meine Liebe zu bekommen. Das ist dann eine andere Geschichte…. (Veronika Seiler)
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Etwas alleine schaffen, 29.09.2023
Du benötigst:
gute Intuition
Vertrauen in dein Kind
Warten
Beobachten
Heute habe ich ein drei-jähriges Kind beobachtet in dem Moment, wie der Holzblock, den es anscheinend in einen Kinderschubkarren gewuchtet hatte, bei dem Versuch, diesen zu fahren, umkippte. Ich unterdrückte meinen ersten Impuls, helfend hinzuzueilen und beobachtete aus der Ferne. Das Kind schmollte. Und hob erneut den schweren Holzblock in den Schubkarren - der sofort wieder umfiel. Das hatte ein älteres Kind beobachtet, das in dem Moment, als auch ich auf das Kind zuging, herbeigeeilt kam. Unaufgefordert - ich war noch entfernt - hob es dem jüngeren Kind die schwere Last in den Schubkarren und eilte so schnell weg, wie es gekommen war. In dem Moment, als ich dann ankam - war der Schubkarren schon wieder umgekippt. "Das ist ein ganz schön schwerer Holbblock", sprach ich meine Beobachtung wertfrei aus. "Du hast ihn schon oft eingeladen. Ich habe dich gesehen." Das Kind schmollte. Ich war schon fast geneigt, dem Kind zu helfen. Aber dann besann ich mich. Was würde das Kind dann lernen? Dass es dies alleine doch nicht schafft. Das es zuletzt (immer) wen braucht. Also sagte ich: "Du wirst eine neue gute Idee haben. Du bist ein guter Nachdenker" und ging vertrauensvoll wieder auf meinen entfernten Beobachtungsposten. Das Kind schmollte weiter. Nach einer Weile sah ich, wie es den schweren Block diesmal anders packte und sich daran machte, ihn zu Fuß zu tragen! Das Kind ächzte - und suchte stolz meinen Blick. Ich grinste es an und zeigte ihm den erhobenen Daumen! Das Kind strahlte. Es lud seinen Holzblock ungefähr 15 Meter weiter weg ab. Und wuchtete noch zwei weitere ebenso an die neue Stelle, wo es daraus eine Mauer baute. Dann ging ich hin und wiederholte meine Worte: "Du bist wirklich ein guter Nachdenker! Du hast alleine eine gute Idee gefunden und wusstest dir zu helfen. Und stark bist du auch." Das Kind lachte mich an - und damit war die Sache erledigt.
Das Kind hat nun gelernt, dass es eine Schwierigkeit auch alleine meistern kann. Natürlich ist es schön, wenn man Hilfe bekommt und annehmen mag - aber manchmal ist einfach niemand da. Und dann ist es gut, wenn man nicht aufgeschmissen ist, weil man nie gelernt hat, kreativ auf eigene Lösungen (außer Schmollen) zu kommen. (Veronika Seiler)
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Achtsamkeit für die Regelvermittlung, 23.06.2023
Zugegeben: Manchmal ist es wirklich mühsam, Kinder immer und immer wieder an bestimmte Dinge zu erinnern. Sie sollen die Schuhe und Jacken ordentlich aufräumen, ihre Trinkflaschen in den Rucksack stecken, sie sollen an der ruhigen Schaukel sanft schaukeln, im Flur langsam gehen, ordentlich essen, rechtzeitig auf die Toilette gehen… Es gibt schon eine ganze Menge Regeln und Grenzen, die ein Kind zu beachten hat. Es sind Dinge, die das Zusammenleben von vielen Menschen erleichtern oder gar erst möglich machen.
Wieso müssen wir das manchmal so oft wiederholen? Mir fallen drei Günde ein:
Viele Freude beim achtsamen Blick auf die Regelvermittlung wünscht
Veronika Seiler
Es gibt Momente im Leben einer Kinderbegleiter*in (Mama, Papa, Pädagogin…), in denen man sich so richtig freut, dass das Kind nun etwas gemacht hat oder kann, was es bis dahin nicht gemacht hatte oder konnte. Alleine die Treppe rauf- oder runter krabbeln. Alleine aufs Klo gehen und es kommt was ins Töpfchen. Eine Zeit lang alleine bei der Oma, der Babysitterin oder in der Kita bleiben. Später wird es ein klein bisschen weniger mit der Freude: Das erste mal den Reißverschluss alleine zubekommen. Das erste Mal daran denken, die Trinkflasche und die Brotzeitbox in den Rucksack aufzuräumen. Das erste Mal von sich aus mithelfen, den Mittagessens-Tisch abzuräumen und sauber zu machen. Das erste Mal von sich aus „danke“ sagen, wenn es in der Metzgerei eine Scheibe Wurst gibt (falls das noch üblich ist…). Und noch etwas weniger freudig werden diese Handlungen unserer Kinder honoriert, wenn sie zum fünften, 10. oder 100. Male stattfinden. Das erste Mal ist es das „Besondere“, das „Unnormale“, das „Ungewohnte“. Später wird es zur Gewohnheit, zur Routine.
Es ist schön, wenn wir uns mit unserem Kind mitfreuen bei diesen ersten Malen. Die eigene Freude überträgt sich dann auf unser Kind und unterstützt unsere ausgesprochenen Worte. Hier können wir achtsam sein: Ist unsere „Freude“ echt? Oder schwingt noch etwas anderes mit? Denn dann: Was drücken unsere Worte wirklich aus? Was kommt beim Kind wirklich an?
An einem Beispiel: Wenn mein Kind jetzt gelernt hat, die Treppe runter zu krabbeln, ich aber eigentlich immer noch große Sorge habe, dass es abstürzen könnte – dann sage ich zwar in etwa: „Super! Jetzt kannst du schon die Treppe runterkrabbeln!“ Ich fühle aber eigentlich vielleicht das: „Oh je – auch das noch. Jetzt muss ich noch mehr aufpassen, dass mein Kind nicht abstürzt… nicht wohin krabbelt, wo es nicht hin sollte…“ Dann klingen meine Worte nicht echt nach Freude, sondern für das Kind „unecht“ nach „falscher Freude“.
Oder anderes Beispiel: Wenn ich mich freue, dass mein Kind nun das erste Mal seinen gebrauchten Teller alleine in die Spülmaschine räumt – ich aber eigentlich (oder: noch dazu) fühle, dass der Teller kaputt gehen könnte, dass das Kind sich am spitzen Messer daneben piksen könnte, dass der Teller nicht korrekt eingeräumt wird – dann klingen in meinen freudigen Worten genau diese Gedanken mit. Dann ist es eine „unechte Freude“.
Was also tun? Genau dieses mein Gefühl, genau diese meine Gedanken AUCH aussprechen. Dazu muss ich sie erstmal selbst kennenlernen. Und dann so: „Ui! Jetzt kannst du schon die Treppe runterkrabbeln! Ich zeig dir mal, wie du dich festhalten kannst. Und dann zeige ich dir noch die anderen Gefahrenstellen im Haus, damit du jetzt lernst, gut auf dich aufzupassen.“ Selbstverständlich gehört nun die Sicherung zum Schutz für Leib und Leben dazu (Treppenabsperrgitter an den entsprechenden Stellen etc. etc.). Oder so: „Wie schön, du hilfst mit, den Tisch abzudecken! Super! Schau, hier ist ein spitzes Messer – achte auf deine Hand. Und so wird der Teller in die Maschine gestellt. Der soll ja richtig sauber werden.“ (Selbstverständlich wird nun das Geschirr verwendet, das kaputt gehen darf. Und bei etwaigen Scherben lernt das Kind, wie man diese aufkehrt, ohne sich zu schneiden.)
Stolz dürfen wir sein auf unsere Kinder! Und mit unserem Stolz nicht die anderen eigenen Gedanken und Gefühle unterdrücken.
Und dann ist es auch ganz einfach, dass das Kind weitermacht mit diesen tollen Dingen – denn es spürt mit unseren ehrlichen Worten das dazu passende ehrliche Gefühl: Den Stolz über das Treppe-Krabbeln mit der etwaigen Sorge, dass das Kind nun seinen Aktions-Radius erweitert hat UND den dazugehörigen Abschiedsschmerz von der Säuglingszeit. Und dann kann die innere Träne von uns Eltern geweint werden, das Haus an der passenden Stelle sicher gemacht werden und anschließend das Lachen über das Großwerden des Kindes Einzug halten. Das Kind hört die stolze Dankbarkeit über die Hilfe beim Tisch-Abdecken und gleichzeitig die Gefahr, vor der es sich hüten soll UND damit unausgesprochen das Zutrauen der Eltern, dass sie es für schon so groß halten, dass es am spitzen Messer vorbei kommt und auch den Teller so hält, dass er nicht runterfällt, sondern sicher in der Spülmaschine im richtigen Fach abgestellt wird.
Die Routine bleibt dann (eher) erhalten, weil das Kind ver-sicher-t ist: Das, was meine Kinderbegleiter*in sagt, stimmt mit dem überein, was ich fühle. Das gibt mir Sicherheit. Sicherheit ist gut.
Über diese unsere Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und dann dem Kind gegenüber können wir stolz sein!
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Zwei Kinder weinen, weil das eine das andere mit einem kleinen Stock gehaut hat. Ich eile hin – und halte mich sofort wieder raus, nachdem ich mit zwei kurzen Blicken gesehen habe, dass keine Verletzung besteht. Es sind Friedenskreis-erfahrene Kinder. Sie lösen diesen Konflikt absolut alleine, ohne dass ich nur irgendetwas dazu sage. In ihrer Art sagt das eine dem anderen, was es wollte – und kurz darauf umgekehrt. Von der Ferne beobachte ich dies und sehe, dass sie ihr Spiel gleich darauf gemeinsam fortsetzen. Nicht immer muss der „Friedenskreis“ mit vielen Worten gemacht werden…
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Zur Zeit erproben wir hier im Kinderhaus die von mir entwickelte Grafik „Telos-Blume“ (der richtige Name findet sich noch): Eine Grafik zur intuitiven Diagnostik für Kinder, Erwachsene und Projekte.
Wer schon lange bei uns in der Kita ist, kennt sie vielleicht noch: „Die vier Nahziele unangepassten Verhaltens von Kindern“, die Rudolf Dreikurs (Schüler von Alfred Adler/Individualpsychologie) entwickelt hat. Lange Jahre haben wir gut und gerne mit diesen vier Nahzielen gearbeitet. Bis uns klar wurde, dass wir durch sie die Erwartungs-Haltung auf „Defizit“ einstellen. Ein Beispiel:
Ich werde von einer Kollegin telefonisch gebeten, eine Streitschlichtung unten im Blütenzimmer zu übernehmen, weil sie oben im Blumendach in der Galerie mit anderen Kinder im Angebot beschäftigt ist. Ich lasse alles stehen und liegen. Durch die Glastüre sehe ich drei Kinder, die sich intensiv unterhalten. Früher wäre ich jetzt schon am innerlichen Suchen gewesen, um welches „Nahziel“ es sich handelt. Früher hätte ich mich – und die Kinder (!) – programmiert auf „Machtkampf“ oder „Rache“ oder „negative Aufmerksamkeit“. Jetzt stelle ich mich auf Beobachten und Einfühlen ein. Allein das Beobachten fühlt sich „friedlich“ an. Ich gehe rein und stelle mich etwas abseits neben die Kinder und höre zu. Sie sprechen mit klarer Stimme und deutlichen Worten, sie hören sich zu (!) und geben sich Antwort. Es scheint mir, dass alles schon geklärt ist. „Es ist wohl alles geklärt“ sage ich. „Braucht ihr noch was?“ Ein Kind schüttelt den Kopf, das andere bejaht. So beginne ich den Friedenskreis. Ein Kind erzählt kurz, was los war, das andere will nichts sagen. So wiederhole ich am Ende, was das Erzählkind gesprochen hat und sage, dass für das andere alles geklärt ist. Beide nicken. „Ich gehe jetzt wieder ins Büro“ sage ich und mache mich auf den Weg. „Ja, gut“. Die Kinder widmen sich wieder ihrem Spiel.
Klingt ganz einfach. Ist es auch.
Ich bin mit der Einstellung ins Blütenzimmer gekommen, dass ich erstmal nur beobachte und fühle.
Ich fühlte friedliche Kinder. Ich erwartete friedliche Kinder. Ich ging davon aus, dass Kinder „Frieden“ leben wollen.
Ich fand friedliche Kinder vor, die ihren Streit selbst klärten.
Eines der Blütenblätter der Grafik Telos-Blume heißt: „Frieden“ (statt „Rache“).
Dieser Friede war schnell hergestellt.
Vielleicht wäre es gut für die Welt, wenn wir mehr „Frieden“ denken würden…
Neulich im Team haben wir übers Anziehen der Kinder in der Garderobe gesprochen. Wie geht das eigentlich einfach, dass die Kinder im entsprechenden Alter merken, dass man sich irgendwann mal selbst anzieht?
Erst ist das Kind ganz jung und wird von den Erwachsenen komplett an- oder ausgezogen. Das geht so: Kind kommt morgens in die Kita, wird von Mama oder Papa auf das dafür vorgesehene Bänkchen gesetzt. Das ist dann auf einigermaßen rückenschonender Höhe für den Erwachsenen, der nun dem Kind die Jacke, die Schuhe und gegebenenfalls die Schnee-/Regenhose auszieht. Ebenfalls räumt der Erwachsene die Anziehsachen gleich in das darüber befindliche Regal oder hängt die Jacke an den Haken. Dann noch dem Kind die Hausschuhe anziehen – fertig. Dieser Ablauf findet regelmäßig statt. Im Gehirn verbinden sich die Synapsen so: Dieser Ablauf ist bekannt und vertraut.
Nach und nach soll das Kind einzelne dieser Tätigkeiten selbst übernehmen. Das bedeutet, dass die gewohnte schöne Routine sich ändern muss. Irgendwer muss dazu wohl einen Impuls geben. Schön, wenn er von den Eltern zu einem Zeitpunkt kommt, wo das Kind wirklich gerne mitmacht und dazu in der Lage ist – bevor es ihm in der gewohnten Routine zu eng wird und es – weil dann nicht nur Gewöhnung, sondern auch Verwöhnung – dagegen in irgendeiner Weise „trotzig“ aufbegehrt.
Einzelne Tätigkeiten können die meisten Kinder schon sehr sehr früh mitmachen. Anfangen den Fuß in den Schuh zu stecken, die Mütze ausziehen, die Hose und Jacke vom Haken nehmen, den Klettverschluss vom Schuh ankleben. Also ist es bestimmt gut, in die anfängliche Routine des „komplett Anziehens“ ein paar Platzhalter einzubauen, in denen alsbald das Kind seinen Beitrag mitmachen kann.
Meist kommt dann eine gewisse Hürde beim Anziehen. Sich komplett alleine ausziehen geht ganz gut, selber komplett anziehen ist von den Tätigkeiten her anspruchsvoller.
Ich mach es gerne so: Ich bereite so wenig wie möglich von den Kleidungsstücken vor, sodass das Kind ziemlich viel selbst machen kann.
Das beginnt damit, dass ich das Kind auf den Boden setzen lasse. Gerade für Matsch-/Regenhosen und Schuhe ist diese Lage für Kinder viel einfacher, da die eigenen Beine und Füße für das Kind so leichter zu erreichen sind. Matsch-/Regenhosen mit Latz bereite ich vor: Ich biege das Latz-Oberteil nach außen um, sodass die Hose wie eine normale Hose aussieht und zu greifen ist. Ich lasse die Klipp-Verschlüsse unbedingt zu und lege sie nur ordentlich nach außen – so muss später nur der Hosenträger über den Arm gezogen werden. Hose derart gefaltet auf den Boden legen, Kind vor die Hose setzen lassen – jetzt ist selber reinschlupfen leicht möglich. Manchmal greife ich die Hände des Kindes und führe die Bewegung des Hose Anziehens gemeinsam mit der Kinderhand in meiner Hand aus. Zugegeben, nicht ganz so rückenfreundlich, wie wenn das Kind am Bänkchen sitzt. Aber: Es bedarf nur einiger Male, es so zu machen, und das Kind zieht alsbald fast komplett alleine die Hose an (vielleicht noch den Rock reinstopfen oder so helfen).
Auch die Schuhe und Füße sind vom Kind am Boden sitzend viel leichter selbst anzuziehen. Hier treffe ich oft auf die dem Kind gewohnte Routine: Es setzt sich auf das Bänkchen und streckt mir seinen Fuß entgegen – ich soll ihm den Schuh anziehen. Richtig gemacht vom Kind! So hat es dies gelernt. Die meisten Kinder nehmen dann auch gerne meine neue Variante – Schuh selbst am Boden sitzend anziehen – an. Vielleicht, weil sie spüren, dass jetzt neues Gehirnfutter kommt. Dafür sind Kinder automatisch offen: Lernen auf allen Ebenen zu allen Zeiten!
Bei der Jacke gibt es verschiedene Methoden: Die lustigste finde ich die, dass das Kind die Jacke vor sich auf den Boden legt, von der Kapuze her in die Ärmel greift und dann die Jacke von vorne nach hinten über den Kopf zieht. Schaut immer sehr akrobatisch aus – und funktioniert! Alsbald ist das Kind dann auch so weit, die Jacke auf die (nahezu) „übliche“ Art und Weise anzuziehen: Kapuze auf den Kopf setzen und nach und nach durch Wackeln die Arme nach hinten einfädeln.
Auch dies mal wieder eine Methode, die anfangs etwas mehr Zeit braucht, dafür ist das Kind alsbald in der Lage, sich selbstständig anzuziehen – und die Erwachsenen können sich derweil selbst anziehen (ohne, weil selbst schon angezogen, beim Kind-anziehen-(helfen) einen Hitzeanfall zu bekommen).
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Unser Team ist immer wieder beeindruckt, wie schnell das mit der „Daten-Übertragung“ funktioniert: Wir reden im Team über ein paar Kinder, verstehen sie vom Kopf her, fühlen uns mit dem Herzen ein und schließen mit positiven Gedanken und Worten ab. Am nächsten Tag sind die Kinder wie verwandelt und die Situation positiv entspannt. Dieser Vorgang gelingt immer!
Leider auch anders herum…
Immer noch erzählen sich Erwachsene „gerne“ unschöne Erlebnisse. Meist sind es Situationen, in denen viel Emotion beteiligt war: Ärger, Frust, Verletzung und ähnliches. Erstaunlicherweise erlebe ich selten Kinder, die so voller Inbrunst von unschönen Erlebnissen berichten. Vielleicht liegt dies daran, dass Kinder sehr viel mehr „schöne“ und positive Erlebnisse ganz intensiv wahrnehmen und erleben. Es gibt eine Studie, in der belegt ist, wie viel mehr Kinder am Tag lachen, als Erwachsene. Kinder sind anscheinend mit ihren positiven Erlebnissen ganz ausgefüllt, die negativen Erlebnisse haben gar keinen Platz mehr.
Wenn ein negatives Erlebnis, das ein Einzelmensch mit einer bestimmten Person erlebt hat, anderen erzählt wird, kann es leicht geschehen, dass sich dieses Gehörte im Zuhörer ziemlich einnistet. „Ach, interessant“, denkt die Zuhörerin, vielleicht gar mit einem Hauch Sensations-Lust. „Das hätte ich gar nicht gedacht!“ Die negative Emotion füllt nun auch diesen Menschen, den Zuhörer, mehr und mehr aus. Wenn nun die Zuhörerin der ersten Person begegnet, gehört von der Zuhörerin viel innere Kraft dazu, dieser ersten Person neutral bis sogar wohlwollend gegenüber zu treten. Nun – wir sind ja bewusst denkende Menschen: Das kann uns also schon gelingen: Uns neutral bis freundlich zu begegnen.
Kinder sind da irgendwie klarer. Wenn die ein Problem mit einem anderen Kind haben, dann klären sie dies in jungen Jahren ganz direkt: „Stimmt gar nicht! Ich bin nicht blöd!“. Oder sie kommen zu einem Erwachsenen und erzählen: „Der NN hat gesagt, dass ich blöd bin!“ Ich frage dann ja immer nach: „Und? Stimmt das?“ – „Nein!“ – „Dann ist ja alles gut.“ Erst, wenn sie etwas älter sind, beginnen die „Tuschel“-Phasen, ein kurzzeitiger Ausschluss von dritten. Manchmal ist jetzt Hilfe von Erwachsenen nötig, und zwar rechtzeitig, damit sich die Situation nicht verschärft. Klare Ansagen, ein klares „Stopp. Man redet nicht in Abwesenheit von anderen schlecht über diesen. Klärt euer Thema hier mit dem Kind persönlich.“
Und dann lernen die Kinder das, was wir hier den „Friedenskreis“ nennen: Thema in die Mitte, jeder erzählt in Ich-Botschaft, wie er die Situation erlebt hat – und fast immer findet sich schnell eine Klärung der Situation.
Es gibt Kurse in gewaltfreier Kommunikation oder ähnliches für Erwachsene, da können wir lernen, wie friedliche Kommunikation gelingt. Und „Kommunikation“ geschieht ja nicht nur mit Worten, sondern auch mit Blicken, Gesten und mit der inneren Ausstrahlung.
Es ist wichtig, sich bewusst für Frieden zu entscheiden, zu allen Zeiten – und besonders, wenn in der Welt der Frieden so gebraucht wird!
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Dieser Tage habe ich Kinder zum Angebot „Malen vom Fasching“ eingeladen. Es waren eine Handvoll Kinder, die ich schon mal vorschickte, bis ich die Gitarre an den Haken gehängt habe. „Setzt euch schon mal an den Tisch, ich komm gleich nach!“ Als ich komme, sitzen sie am Tisch – und fangen bereits an, mit Holzstiften auf das normale Papier zu malen. Ui, da bin ich aber ein bisschen eingeschnappt gewesen. „Es ist mein Angebot. Ich sage, was gemacht wird.“ Da bei uns die Kinder ja auch Angebote machen dürfen (das neue System ist am Werden) fühle ich mich hier ganz gleichwertig. „Lasst alles liegen und setzt euch an diesen (anderen) Tisch.“ Die Kinder sind verdattert. Haben sie mit meiner Klarheit nicht gerechnet? Sie setzen sich an den Nachbartisch – manche nehmen ihren Stift und ihr (noch unbemalte) Papier mit. Endlich ist auch das geklärt: Papier und Stift bleibt drüben, Kinder hier am leeren Tisch.
Und jetzt beginnt mein Angebot. Ich lade die Kinder ein, über „Fasching“ zu sprechen. Sie docken an: „Luftballons!“, „Kuchen“, „Verkleidung!“ und mehr. Ich erzähle noch vom Winter-Vertreiben… Der Funke ist übergesprungen. Jetzt zeige ich ihnen, welche Papiere (unterschiedliche Qualität und Größe) wir hier im Papierschrank haben. Ich lasse sie wählen, welches sie möchten. Und ich zeige ihnen im anderen Regal unsere vielen verschiedenen Stifte, die wir (außer den beliebten Holzstiften) noch haben: verschiedene Kreiden, verschiedene Wasserfarben. Jetzt geht es los: Jedes Kind malt (manche mit Kreiden, manche mit Holzstiften) vom Fasching: Tische mit Essen, Pegasus und Einhörner, eine Maschine… - was halt an Fasching so vorkommt .
Ein Kind hatte sich zusätzlich schon rosa Seidenpapier herausgeben lassen. Jetzt beginnt es, sein Einhorn mit bunten Kügelchen zu bekleben… das motiviert die anderen auch. Ich spreche (nur) aus, was ich sehe: „Ah, du mischst Kreiden und geklebtes Seidenpapier. Interessant!“ Oder erzähle von einer Idee: „Da hast du ganz dick Kreide gemalt. Ich hab früher auch mal mit Kreiden gemalt und dann mit so einem spitzen Gerät gekratzt. Wir haben doch auch irgendwo wo spitze Gegenstände.“ Nach und nach probieren alle Kinder von sich aus die Kreiden aus und ritzen kleine Muster rein – und (fast) alle kleben rosa Seidenpapierkügelchen auf ihr Bild. Die Kinder, die mit Kreiden begonnen haben, verwenden nun auch noch Holzstifte und umgekehrt. Es entstehen ganz unterschiedliche, fantasievolle Bilder!
Indem ich die Grenze anfänglich klar gezogen habe, hat sich die Kreativität breit machen können…
Zugegeben: Etwas seltsam ist es schon… aber es hat eine Zeitlang gedauert, bis mein Mann (der aus einer Handwerkerfamilie stammt) mir zutraute, mit Sägen und Akkuschrauber umzugehen. Immer, wenn ich in unsere kleine Werkstatt kam, spürte ich förmlich das Nicht-Zutrauen. Nachträglich bin ich ihm dankbar dafür: Denn nun „verstehe“ ich, wie es Kindern manchmal geht.
Erst sind sie ganz jung und auf unseren Schutz angewiesen, dann werden sie allmählich, manchmal auch schubweise, älter und weiser und geschickter. Wir begleitenden Erwachsenen dürfen jeden Tag sozusagen „auf der Hut sein“, was sich denn heute über Nacht wieder entfaltet hat, was sie heute alleine können.
Erst sind die Kinder ganz jung, dann geben wir sie in die Krippe und gewöhnen sie ein. Auch wir Eltern „gewöhnen“ uns daran, dass sie ins Krippenzimmer gehen. Dieses befindet sich gleich neben der Garderobe, die Türe ist oft einladend geöffnet, der Weg ist kurz, das Lächeln der Pädagog*innen strahlt schon bis zum Garderobenplatz. Schwupp – sind sie drin im Krippenzimmer (was dank unseres offenen Konzeptes selbstverständlich möglich ist), tagein, tagaus. Das geht einige Jahre so… – und… tja: „Fühlen sich wohl?“ Oder: „Sind sie drin, weil es der gewohnte, der eingewöhnte Weg ist?“.
Und dann stellt sich noch die Frage: Wer fühlt sich wohl dabei? Für wen ist es der gewohnte Weg? Für das Kind? Oder für die begleitenden Eltern? Oder für das Kita-Team?
Und wer macht den Reißverschluss heute zu, wer packt die Brotzeit ab dem neuen Jahr in den Rucksack, wer stellt den Wecker auf welche Uhrzeit, damit die Familie pünktlich aus dem Haus kommt? Wer entscheidet ab jetzt, ob heute Matschhosen-Wetter ist oder nicht?
Mein Mann war es so von zu Hause gewohnt (die Zeiten waren damals wirklich noch andere), dass Männer Werkzeug in der Hand haben und Frauen den Haushalt machen. Auch, wenn gewohnte Sichtweisen aus der Kindheit wie eingeschweißt sein können – Änderungen sind möglich! Selbstverständlich traut mein Mann mir mittlerweile schon sehr lange zu, mit Werkzeug zu arbeiten. Und auch wir begleitenden Erwachsenen können uns in der Einstellung auf unser Kind täglich ändern: Wir können unserem Kind zutrauen, dass es Temperatur selbst fühlt und sieht, wie das Wetter ist und welche Kleidung es anziehen sollte. Wir können dem Kind zutrauen, dass es mit ein bisschen Zeit die Brotzeit selbst in den Rucksack stopft und diesen schließt. Wir können unsere Einstellung dem Kind gegenüber jeden Tag erweitern und erkennen, dass es heute (mit etwas Anleitung) zur passenden Zeit anfängt, sich für den Termin bereit zu machen, um außer Haus zu gehen. Wir können dem Kind zutrauen, dass es nun nicht mehr automatisch in das Krippenzimmer geht, nicht mehr „klein“ ist, dass der Weg hinauf in die anderen Zimmer begehbar ist.
Und was ist es, was ich selbst heute ein klein bisschen bewusster – und dadurch vielleicht anders, spannender, mit neuen Bewegungen, mit neuer Einstellung – mache? Der Drang der Kinder nach Wachsen, Lernen, Entfalten ist so groß: Danke Ihr Kinder der Welt, dass ihr uns damit ansteckt und motiviert, dass wir auch selbst immer wieder neues ausprobieren und lernen!
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Zur Zeit lese ich wieder einmal das wundervolle Buch Nada Brahma, Die Welt ist Klang von Joachim-Ernst Behrendt. Alles klingt, alles schwingt. Auf seine einzigartige Weise. „Jedes Wort wirkt“ heißt ein Buch von Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf. So ist davon auszugehen, dass wohl auch jede Information auf ihre einzigartige Weise schwingt. Wie es genau „funktioniert“ kann ich nicht sagen – eher ist dies wohl ein Vorgang, der gefühlt werden mag: Der Anlass für eine Information entsteht – jemand erkennt diese Information – jemand benennt diese Information für sich selbst. Nun ist sie da, nun hat sie einen Namen. Allerspätestens ab jetzt ist sie „wer“, „jemand“, „hat sie eine persönliche Schwingung“.
Und ab jetzt geht es um die Kinder: Diese haben alle noch diese feinen Fühl-Antennen (die wir Erwachsenen auch haben, aber oft uns selbst weg-trainiert haben oder als „Verweichlichung“ bei uns selbst ablehnen). Die Kinder spüren „nur“ die Schwingung der Information, sonst nichts. Sie spüren, wenn es freudig schwingt oder hektisch, unsicher oder erwartungsvoll, beängstigend oder voller Vertrauen… Sie spüren dies ziemlich sicher schon in dem Moment, wo der Anlass entsteht, also noch bevor der Anlass einen Namen bekommt. Diese neue Schwingungs-Information nehmen sie auf – und weil es eine Schwingung ist, versetzt es die Kinder selbst in genau die gleiche Schwingung. Es ist wohl so, wie wenn man ein rhythmisches Musikstück hört und der Zeh, dann der Fuß, dann der ganze Körper beginnt im gleichen Rhythmus mit zu schwingen, zu wackeln, zu tanzen.
Schön, wenn es eine heitere, Zuversicht-gebende Schwingung ist.
Was aber, wenn es eine verunsichernde oder gar beängstigende ist? Was, wenn es eine ist, die traurig macht? Oder hektisch?
Das Kind spürt „nur“. Es beginnt „nur“ genauso zu schwingen: Verunsichert, ängstlich, traurig, hektisch… Es weiß gar nicht, warum das so ist. „Nur“: Die Schwingung mit dem Namen „Verunsicherung“, die „verunsichert“ schwingt, lässt nun Verunsicherung lebendig werden. Auch in der Kita bei einem Kind, das schon lange der Kita vertraut war. Auch bei der Eingewöhnung eines neuen Kindes in die Kita. Auch die ängstliche Schwingung wird lebendig im Leben des Kindes. Ebenso wie die traurige, die hektische und welchen Namen sie alle bekommen haben. Plötzlich ist ein ehemals der Kita vertrautes Kind anders, unsicher, vielleicht nach und nach sogar aggressiv. Ein anderes Kind gewöhnt sich vielleicht gar nicht gut ein, weil in ihm grundsätzlich „Angst“ schwingt. Ein drittes wird traurig, still und zieht sich zurück und weiß selbst nicht warum. Und so fort. Und das „nur“, weil das Kind vom familiären „Tanz“, der vielleicht heißt „wir bekommen ein Baby! Aber es darf noch niemand wissen“ (warum eigentlich nicht?? Darf ein Kind nicht mittrauern, wenn eine Seele sich schon im Mutterleib wieder verabschiedet?) und dessen Namen es nicht kennt, zum Mitschwingen angestubbst wurde. Oder von der Information „wir, die Eltern, sind uns zur Zeit wirklich uneinig… mal sehen, wie das mit uns als Paar weitergehen wird…“. Oder von der Information „ob unser Kind wohl schon schulreif ist? Und welche Schule ist dann wohl die beste?“. Oder von dieser Information: „Die Corona-Zeit war so gemein: Ich hatte ständig Angst um mich und meine Lieben. Hört denn das nie auf? Schon wieder sind so viele Menschen krank um mich herum: Das Leben ist schon ziemlich gefährlich…“. Oder von dieser: „Mein älteres Kind macht mir Sorgen, weil…“
Es gibt ein altes Lied, das heißt: „Es führt über den Main eine Brücke von Stein. Wer darüber will gehn, muss im Kreise sich drehn. Fallala…“ Keiner kommt über die Information, über die Wahrheit, ohne sich in deren Tanz zu schwingen…
Kinder haben deshalb ein Recht auf gegebene, mitgeteilte Information. Kindgemäß mitgeteilt! Damit sie Informationen, die sie „nur“ spüren und die deshalb unerlaubt von ihnen Besitz ergreifen, beim Namen nennen können. Nun können sie mit der Information „ins Gespräch“ kommen – gemeinsam mit den Eltern: Wer bist du, Information? Wie heißt du? Bist du wichtig für mich? Muss ich mich um dich kümmern oder machen das meine Eltern? Wann gehst du wieder? Dies befreit Kinder von einer Last, von der sie gar nicht wussten, das sie da ist! Nun haben sie die Möglichkeit, wenn sie über diese „Brücke über den Main“ gehen, sich darauf einzustellen, dass sie in diesem speziellen Tanze überschritten wird. Oder sie haben vielleicht sogar die Möglichkeit, dieses Thema zu meiden: „Ich muss da gar nicht drüber. Diese Brücke, dieser Tanz gehört meinen Eltern ganz alleine.“ Oder sie entscheiden sich nun bewusst, gemeinsam mit den Eltern – oder alleine – diesen Tanz anders zu tanzen, diesem Thema auf komplett neue Art und Weise zu begegnen.
Noch ein Stichwort zu „kindgemäß gegeben“: Wenige Worte. Mein elterliches Gefühl benennen („das macht mir ein bisschen Sorgen“). Atempausen machen: Und in dieser fühlen, was das Kind bewegt. Und dem Kind Zeit lassen, nachzudenken und Fragen oder Anmerkungen zu formulieren. Nur das beantworten, was gefragt wurde. Das Gespräch alsbald beenden – und wieder aufgreifen, wenn die Zeit dafür gekommen ist: Vielleicht fragt das Kind nach einiger Zeit weiter. Oder der Erwachsene fragt: „Möchtest du noch etwas darüber wissen?“
Nun wissen auch wir begleitenden Erwachsenen (in der Kita), warum die Kinder momentan so „schwingen“, wie sie „schwingen“. Der Ärger, die Verunsicherung, die Hektik, die auch wir Kita-Erwachsene, diese nun vom Kind weitergeleitete Schwingung, nun in uns spüren, ist nun erkannt (weil von den Eltern auch uns mitgeteilt) und kann entsprechend zugeordnet werden. „Unser“ Ärger, „unsere“ Verunsicherung und „unsere“ Hektik ist ja gar nicht von uns… und auch nicht vom Kind… das kann ja gar nichts dafür, dass es so ist, wie es ist… da gibt es ja eine Information im Hintergrund. Ach soooo! Ja dann!... ist ja alles ganz einfach. Information erkannt, an den richtigen Ort (zurück-)gegeben (meistens an Euch, liebe Eltern) – und dem Kind seinen freien Raum zur Entfaltung gelassen. Wo es jetzt wieder seinen eigenen, ganz persönlichen und einzigartigen wundervollen Schwung und Klang leben kann.
Und: Wir helfen Euch gerne, wenn Ihr eine Anleitung möchtet, wie Ihr Euren ganz persönlichen Tanz tanzen, Euer Thema bearbeiten könnt.
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Ein junges Kind geht nicht so gerne in den Garten. Das wissen wir schon lange. Es dauert immer ewig, bis es für den Garten angezogen ist… und dann wieder den umgekehrten Weg… im Winter macht das ihm wirklich sehr viel Arbeit…
Vor ein paar Tagen haben wir uns (mit den Methoden des „Abstand-nehmens“) eingefühlt in das Kind. Neben anderen Dingen haben wir erkannt, dass es zum Einen es dringend braucht, immer mal wieder verwöhnt zu werden. Dazu habe ich kürzlich den Begriff „Heilungs-Verwöhnung“ erfunden (falls es ihn nicht schon gibt). Zum anderen haben wir entdeckt, dass das Kind viel zu wenig Bereiche hat, in denen es selbst entscheiden kann/darf. Uns ist aufgefallen, dass das Kind schon seit einigen Tagen gleich beim Ankommen zu einer Kollegin sagt, dass es heute nicht in den Garten will. Am Vormittag, Stunden später, geht es dann aber doch in den Garten, weil das eben meist so üblich ist bei uns. Die Kollegin ist dann immer ganz woanders, niemand sonst weiß von dem Bedürfnis des Kindes. Nun, in unserem Einfühlungs-Gespräch haben die Kollegin und ich dies erkannt. Folglich haben wir entschieden, dass das Kind selbstverständlich nicht in den Garten muss, wenn es nicht will. Und wir ihm bewusst kurz vor der Gartenzeit die Möglichkeit geben werden, nochmal seinen Wunsch zu äußern.
Und jetzt ist etwas Faszinierendes geschehen: Schon am nächsten Tag äußerte das Kind mehrmals zu unterschiedlichen Kolleg*innen, dass es heute nicht in den Garten gehen will. Niemand von uns hatte bisher mit dem Kind gesprochen! Es äußerte seinen Wunsch auch mir gegenüber. Ich bestätigte das: „Ja. Geht klar! Heute gehst du nicht in den Garten. Heute möchtest du drinnen bleiben. Okay.“ Und so war es. Es bliebt drinnen im Haus.
Ein Tag später, am Ende der Telos-Blume, als alle Angebote verteilt werden: Ein Angebot ist heute „in den Garten gehen“. Das Kind sitzt zufällig neben mir und was geschieht? Das Kind flüstert mir schon ganz aufgeregt zu, als dieses Angebot noch gar nicht an der Reihe ist: „Ich geh in den Garten!“. Als es dann soweit ist, aufgerufen zu werden, hebt es seinen Finger ganz hoch, damit der Erwachsene ihn sieht und mitnimmt. Klar geht das Kind heute mit in den Garten! In der Garderobe bittet es freundlich um etwas Hilfe, die es bekommt, und genießt die Gartenzeit.
Und das ist geschehen im Sinne der Telos-Entfaltung: Indem meine Kollegin und ich über das Kind aus dem Abstand gesprochen haben – indem wir uns vorab in seine Situation und sein Bedürfnis eingefühlt haben – haben wir den Raum erkannt. Und dann neu gestaltet im Sinne von: Druck rausnehmen; den Selbstwert des Kindes anerkennen, in dem sein Bedürfnis gehört und berücksichtigt wird. Und plötzlich macht dem Kind etwas, was es zuvor MUSSTE, Freude, weil es dies nun selbst wählen und entscheiden DARF.
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In unserem Apfelbaumzimmer sind die Turngeräte aufbewahrt. Manche, die ungefährlichen, liegen am Turnwagen, manche, anspruchsvolle, sind oben im Regal. Je nachdem, was man mit den Dingen macht, können ungefährliche doch zur Gefahr für Leib und Leben werden.
Ich beginne heute im Lindenbaumzimmer den Tag. Während ich gleichzeitig mit dem Waldteam telefoniere, die kurze Nachricht einer bringenden Mutter entgegennehmen melden sich auch noch ein paar Kinder bei mir ab und gehen ins Apfelbaumzimmer. Hm… ein paar. Als ich kurz nach dem Telefonat ins Apfelbaumzimmer schaue, sind dort ein paar mehr Kinder, als ich vermutet hatte. Sie spielen mit Reifen und Holzstangen. Es ist ein schönes Spiel! Und doch – es kann schon auch gefährlich werden… Weil ich grad so im aktiven, vielleicht auch etwas angestrengtem, Abarbeiten der auf mich einstürmenden Dinge bin, stoppe ich sofort alle Kinder und lasse sie dort, wo sie sind, auf den Boden setzen. Zuerst kläre ich mit den Kindern, die ich noch gar nicht gesehen hatte, dass sie sich bei einem Erwachsenen anmelden müssen, damit ich aktiv die Aufsichtspflicht übernehmen kann. Die Kinder verstehen das. Dann gehe ich zu den Turngeräten über, die eine Gefahr darstellen könnten. Diesmal erkläre ich gar nicht, welche Gefahr drohen könnte (das haben die Kinder ja schon zur Genüge gehört), diesmal sage ich nur: „Diese Dinge (Stangen, Reifen) könnt ihr nur nehmen, wenn ein Erwachsener im Raum ist!“ Nach meiner Erfahrung mit dem unverrückbarem Bauzaun von letzter Woche, der eine absolute natürliche Grenze darstellte, bin ich auch heute ganz klar. Innerlich spüre ich: So ist es!
Und so ist es dann tatsächlich. Ich gehe wieder ins andere Zimmer und weiß, dass ich den Kindern vertrauen kann. Durch die offene Türe und nach ein paar wenigen Minuten durch einen stillen Kontroll-Blick sehe ich mein Vertrauen in die Kinder bestätigt: Die spielen nun nur mit den Dingen, die ungefährlich sind – kreativ und voller Freude.
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Dieser Tage, Gartenzeit: Als ich komme, rennen die Kinder wie wild im klein begrenzten Gartenteil herum – die Gärtner sind da, der Weg nach hinten ist wieder einmal durch die Bauzäune versperrt. Das kann gefährlich werden, denke ich, zu viele Kinder auf zu engem Ort. Ich sammle alle Kinder um mich, frage, wer mit in den hinteren Gartenteil möchte. Es melden sich viele, die ich am Apfelbaum sammeln lasse. Denen erkläre ich nun, dass wir, wenn wir drüben sind, erst wieder nach langer Zeit herüber können, gemeinsam. Damit der Gärtner nicht ständig den Zaun auf und zu machen muss. Alles klar. Als uns der Bauzaun aufgetan wird, kommen noch ein, zwei Nachzügler. Die informiere ich etwas hektisch, weil ich währenddessen schon achte, dass drüben alle gut ankommen und keiner aus Versehen die Abzweigung auf die Straße nimmt. Gut, passt. Schöne Spielzeit mit viel Rennen. Eine Beule wegen Zusammenstoß wird mit einem herübergereichten Kühlpack verarztet. Dann: „Ich will rüber.“ Oh! Das ist NN, ein mittel-junges Kind aus der Krippe. „Das geht jetzt nicht“ sage ich etwas verwirrt. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Ich will aber!“ Mist. Sehr kurz erkläre ich, warum es nicht geht. NN weinerlich: „Ich hab Hunger!“ Immer noch versuche ich zu erklären: „Mittagessen gibt es bald. Wenn wir alle gemeinsam wieder rüber gehen.“ Jetzt weint das Kind richtig. Oh je! Da das Kind ein Krippenkind ist, ich aber meist im Kindergarten bin, ist es mir nicht so tief vertraut, dass ich gut einschätzen kann, wie „schlimm“ der Hunger ist. Ich kläre das mit meinem Kollegen rufend über den Zaun ab: Passt, NN. verhungert nicht, auch wenn es nicht gleich was zu essen bekommt. Das Kind weint noch immer. Jetzt kommt der Moment, wo ich mir selber klar mache, dass diese Grenze, nämlich der Bauzaun, für diesen Moment fest und unverrückbar ist. So war die Vereinbarung (die das Kind gehört hatte), die Gärtner sollen ihrer Arbeit nachgehen, ich selber kann den schweren Zaun nicht verrücken. Also: Grenze ist fest. Und auch dem Kind passiert nichts schlimmes, wenn es hier bleibt. Als ich genau an diesem Punkt angekommen bin, hört das Kind zu weinen auf, packt sich seinen Anorak und bereitet sich daraus eine gemütliche Unterlage auf der Bank, auf der es nun ein Weilchen neben mir ausruht. Ohne Weinen. In Gedanken vertieft. Nach einer Weile fragt es nochmal – da es immer noch nicht geht, wendet es sich nun wieder den anderen Kindern beim Spielen zu. Auch ein anderes Kind sagt zwischendurch unvermittelt und sehr entschieden: „Ich geh jetzt rüber.“ Es ist das Kind, das nachgekommen war, das die Bedingungen nicht so richtig mitbekommen hatte. Auch ihm erkläre ich mit wenigen Worten, was los ist – es fällt ihm förmlich die Kinnlade runter vor Erstaunen: Da gibt es eine Grenze, die ist jetzt unverrückbar! Ich rede ganz wenig, bin innerlich ganz beim Kind. Es steht immer noch und verdaut diese unveränderbare Grenze (die mir ja mittlerweile schon durch das andere Kind klar geworden war). Dann sucht es sich ein ruhiges Plätzchen, von dem aus es die anderen Kinder beobachtet. Kurz bevor die Zeit gekommen ist, wo wir alle gemeinsam wieder rüber gehen, fängt es an, frohgemut mit anderen Kindern an der Rutsche zu spielen.
Für mich war das wieder mal eine lehrreiche Erfahrung: Sobald mir selbst die Grenze absolut klar ist – bis hierher und nicht weiter – anerkennt das Kind sie automatisch. Brauchen wir dazu eigentlich Bauzäune?
Und: Trauer und Tränen darf ein Kind alleine aushalten und auf seine Weise damit umgehen. Selbstwirksamkeit heißt das im Fachjargon. Meine innere liebevolle und annehmende Anwesenheit hatte genügt.
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Die Eingewöhnung in die Kita ist eine sehr besondere Zeit, für alle: Das Kind, die Mutter (meist), die Familie, die begleitende Pädagog*in, die Gruppe, die Kita insgesamt… In der Telos-Entfaltung-Eingewöhnung gibt es die drei Phasen des Wurzelns: 1. Schnuppern mit einem vertrauten Menschen, 2. Wurzeln gründen gemeinsam mit dem vertrauen Menschen, 3. Wurzeln tiefer wachsen lassen. Dieser Prozess ist irgendwann abgeschlossen, das Kind ist da. Und dann, manchmal komplett unerwartet, kommt das Kind plötzlich doch wieder nicht gerne, der Abschied fällt wieder schwer, das Kind weint, die Mutter/der Vater weint (innerlich)… oder seufzt. Geht nun alles wieder von vorne los?
Wir nennen es „die drei Wochen-Krise“ – so hießt das bisher. Im Internet steht: Das Wort Krise kommt vom Lateinischen und vom Griechischen: Lat. crisis, griech. krísis (κρίσις) bedeutet ‘Entscheidung, entscheidende Wendung von Krankheiten, auch ‘Urteil, Gericht’. So ist Krise eigentlich die entscheidende Wendung bzw. der Moment der Entscheidung. So kann man Krise positiv sehen - weil sie etwas Neues ermöglicht. (https://wiki.yoga-vidya.de/Krise, abgerufen am 28.10.2022 um 12.18 Uhr)
Was will in dieser Zeit, drei oder viele Wochen später, neu entschieden werden, was will Neues entstehen?Und vor allen Dingen: Wer will neu entscheiden?
Die Entscheidung, dass das Kind in die Kita geht, treffen in den allermeisten Fällen die Eltern. Das Kind hat wenig bis keinen Einfluss darauf. Nach einiger Zeit merkt das Kind: Die Entscheidung, dass ich in diese Kita gehe, ist gefallen. Sie gilt auch heute. Ja – tut sie das wirklich?
Denn parallel wirken andere Kräfte – an der Mutter/dem Vater: Die Entscheidung, dass das Kind in die Kita geht, wurde zwar schon vor längerem getroffen – aber nun stellt auch der Erwachsene fest, dass das nun wirklich gilt! Das Kind geht tatsächlich in die Kita! Es löst sich eine Zeit lang von der Familie, dem Vater – ja, und auch von der Mutter. Manch eine Mutter (meist sind es die Mütter, denn diese hatten kraft ihrer Fähigkeit, Kinder in ihrem Bauch wachsen zu lassen“ die größte Nähe zum Kind) ist darüber tatsächlich überrascht. „Das klappt ja tatsächlich! Nun habe ich wieder Zeit für… das jüngere Kind, meine Arbeit, und auch dafür, über mich und mein Leben nachzudenken.“ Manchmal ist „über sich nachdenken“ schön, manchmal auch nicht… Dann ist doch ein Kind, das sich absolut überraschend doch wieder schwer tut, in die Kita zu gehen, eine ganz passende Möglichkeit, sich nicht den gut versteckten Themen widmen zu müssen. Dank dem Kind kann ich so bleiben, wie ich bin!
Vielleicht ist es so bei manch einer „3-Wochen-Krise“. Manch eine andere „3-Wochen-Krise“ mag doch lieber zu einer „3-Wochen-Entscheidung“ werden. Viel Freude beim Grübeln und Entscheiden wünscht Veronika Seiler
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Dieser Tage war ich im Blumen-Dach (der Galerie) mit wenigen Kindern. Diese rannten hektisch herum, warfen die kleinen Küchen-Spielsachen wild auf den Tisch, lachten… es wurde immer wilder. Ich saß am Teppich und beobachtete alles. „Was ist meine Aufgabe?“ dachte ich. Irgendwie die Kinder zur Ruhe bringen – denn uns Erwachsenen ist klar: Das Blumen-Dach ist ein ruhiger Raum, weil er akustisch mit dem darunter liegenden Blütenzimmer verbunden ist. Nun hätte ich die Kinder an die Ruhe erinnern oder zur Ruhe mahnen können. Ich entschied mich für etwas anderes. Ich betrachtete „den Raum Spielen“ dieser Kinder. Ich nahm ihn auf meine Hand und „betrachtete“ ihn virtuell. Da war ganz schön was los! So gab ich in diesen virtuellen Raum das hinein, was ich glaubte, das ihm im Moment gut tut: Ein paar Farben, ein paar schöne Klänge… Ruhe war auch dabei und der Wusch, sich auf etwas in Liebe zu konzentrieren. Mehr tat ich nicht – und beobachtete. Nach kurzer Zeit änderte sich das vorher wilde Spiel: Die Kinder interessierten sich ausführlich für die Spiel-Küchen-Utensilien. Sie begutachteten sie und ordneten sie nach „gesund“ und „ungesund“ in zwei Gefäße. Es war ruhig geworden. Der Fokus war ganz auf diese Tätigkeit gerichtet. Die Kinder waren ganz in ihrem Thema aufgegangen…. Nach fünf Minuten war dieses Spiel beendet – und schon ging es wieder los: Die Kinder schoben die Korbstühlchen wild herum. „Was ist jetzt meine Aufgabe?“ fragte ich mich nun. Jetzt entschied ich mich für etwas anderes. Ich redete mit den Kindern. „Hört mal: Das ist ein ruhiges Zimmer. Wenn ihr rennen und toben wollt, dann geht doch in den Garten. Ihr seid doch Vorschulkinder (und dürft alleine in den Garten).“ Das Gesicht der Kinder war herzig zu beobachten: Wie es von Verstehen in Freude wechselte: „Ja, gehen wir raus!“ Sie waren sich einig. Da war dann noch das jüngere Kind, das nicht alleine raus kann. Es erklärte mir ausführlich, dass es auch in den Garten möchte. Das war dann schnell geklärt: Die Vorschulkinder übernahmen die Aufsicht für das jüngere Kind und halfen ihm auch fürsorglich in der Garderobe. Vom Fenster aus beobachtet ich ihr freudiges Rennen und Toben.
Den Raum gestalten hat nichts damit zu tun, die Kinder zu etwas zu zwingen – sondern: Eine herzliche Einladung auszusprechen! Ob die Kinder diesen von mir gestalteten Raum betreten wollen, oder wie lange, entscheiden sie selbst. Auch das ist Wahlmöglichkeit geben.
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Nachdem der Garten an dieser Stelle viele Wochen wegen Renovierung geschlossen war, ist heute sehr plötzlich die Rutsche wieder für die Kinder begehbar. Wie kleine Fohlen hüpfen und springen sie auf der Wiese im hinteren Gartenteil herum. Es ist, als ob sie alles beschnuppern. Es dauert ein bisschen, dann sitzen ein paar oben an der Rutsche. Ein Blick nach unten bestätigt es: Da wachsen wieder die Brennnesseln. Ich beobachte das alles aus einem gewissen Abstand. Die Kinder scheinen zu überlegen, ob sie dennoch rutschen sollen. Ich fühle mich genötigt, meiner Aufsichtspflicht nachzukommen (weiß ich doch aus Erfahrung, dass Brennnessel-Stiche schon ein bisschen weh tun) und gehe nun mal näher. „Ihr wollt rutschen? Stimmt, da sind die Brennnesseln. Ich schau mal, was ich machen kann.“ Ich klettere hinunter und versuche, die Pflanzen mit dem Fuß zur Seite zu biegen. Das gelingt nur mäßig bis gar nicht: Die starren Pflanzen lassen sich nicht zur Seite biegen. Und jetzt sehe ich, dass im Landungsbereich der Rutsche auch ein großer Brennnesseln-Buschen steht. „Hm, das geht nicht. Ich kann die nicht so weit wegbiegen. Und die Gartenschere ist auch noch nicht erreichbar.“ Die liegt im Bauwagen, zu dem man momentan nicht hin kommt, weil die Wiese frisch eingesät ist. „Na dann bleibt wohl mal besser oben sitzen“. Ich gehe an meinen Beobachtungsplatz zurück. Die Kinder unterhalten sich und spielen oben an der Rutsche. Nun kommt ein weiteres Kind daher. Es macht Anstalten zu rutschen. Die Kinder erzählen ihm von den Brennnesseln und dass die Rutsche heute gesperrt ist. Es bleibt in Rutschposition sitzen. Vorsichtshalber warne ich es auch. Es hat mich gehört. Und doch: Ich beobachte, wie es die Lage prüft, nachdenkt – und plötzlich rutscht. Von meiner Stelle aus kann ich nicht sehen, wie es unten an den Brennnesseln vorbei kommt. Ich sehe das Kind erst, als es wieder heraufgeklettert ist – freudestrahlend! Und sehr stolz! „Hei! Du bist an den Brennnesseln vorbeigerutscht!“ rufe ich hinüber. „Ja! Ich habe einen Trick!“ erklärt mir das Kind voller Freude. „Ich kann das!“ Die ersten Kinder, die nicht gerutscht sind, haben dies aus der Ferne beobachtet. Nun kommen sie und sperren oben die Rutsche ab, sodass man nicht mehr rutschen kann. Das mutige Brennnessel-Kind beobachtet dies still – als die anderen wieder weg sind, entfernt es die Sperre ruhig und macht sich daran, erneut zu rutschen. „Hei! Da darf man nicht rutschen! Da sind Brennnesseln!“ rufen die andern besorgt. Nun schalte ich mich wieder ein: „NN kann das! Er hat einen Trick!“ rufe ich – die Kinder schauen erstaunt, und beobachten nun, wie NN das macht. Ein paar Mal rutscht er noch und kommt jedes Mal wohlbehalten wieder oben an.
Für mich war wichtig, mir bewusst zu machen, was als Schlimmstes passieren kann: Brennnessel-Stiche, die zwar sehr unangenehm sein können, aber nicht lebensgefährlich sind – Kühl-Elemente sind vorhanden. Langanhaltendes Jammern wegen der Stiche – kann ich aushalten. Noch was? Nein.
Deshalb war meine Regel „heute lieber nicht rutschen“ keine starre Regel, die absolut eingehalten werden muss. Jedes Kind hat nun selber für sich entschieden. Und gleichzeitig fanden sich Kinder, die umsichtig für andere sorgten. Und es fand sich ein Kind, das für sich selber seinen Mut testen wollte. Es fühlte sich richtig gut an für alle Beteiligten.
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Zugeben: Im ersten Moment weiß ich nie ganz genau, wie ernst die "Schlägerei" ist, auf die ich gerade zurenne. Zwei Kinder hauen sich ins Gesicht, schaut schon gefährlich aus. "Halt" rufe ich schon von weitem. "Aufhören!" Als sie mich sehen, beginnt das eine Kind zu weinen, das andere sich verbal zu verteidigen. Ich gehe sofort in die Hocke, also auf Augenhöhe. Die Emotionen schlagen hohe Wellen - ich lasse die erst mal eine Weile schwingen. Das eine Kind weint leise, das andere will mir erzählen, was los war. Ich sehe ein kleines Spiel-Plastik-Schälchen (soll ein Pommes-Papp-Teller sein) auf dem Boden liegen. "Geht es darum?" - "Ja!" Und schon will es weiter gehen.
Jetzt ist der Moment, wo ich den Friedenskreis anfange. Den Friedenskreis verwenden wir schon seit Jahrzehnten im Telos-Kinderhaus. Er ist eine Mischung aus gewaltfreier Kommunikation und Telos-Entfaltung. Weil die Kinder nun nicht mehr emotional fest hängen, können wir damit jetzt anfangen. "Wer hat die meiste Kraft?" Die Kinder kennen diese Frage, keiner will die Antwort geben. Denn der mit der meisten Kraft nimmt diese Kraft, und hört aufmerksam zu. Vielleicht befürchten die beiden, dass derjenige, der als zweiter erzählt, nicht "recht" bekommt. So soll es natürlich nicht sein. Letztendlich meldet sich doch eines, bei dem ich mich überschwänglich bedanke. "Dann nimm du deine Kraft, und hör gut zu - und ich tu das auch." Das andere Kind fängt an zu erzählen: "Fang deinen Satz mit "ich" an. Was hast du erlebt? Ich...?" Das Kind berichtet, das andere hört zu. Keine einzige Unterbrechung ist erlaubt! Keine einzige Wertung. Dann ist es klar: Die Pommes-Schale lag da am Tisch, am Platz des anderen Kindes, das gerade etwas anderes holte. Ich wiederhole, was ich gehört habe. Auch, wenn mir nun schon alles klar ist - nun wird getauscht. Ich bedanke mich beim einen Kind fürs gute Erzählen, beim anderen fürs gute Zuhören. "Und nun fang mit "ich" an." Darauf bestehe ich immer. Nun wird klar: Das Kind hatte die Pommes-Schale schon länger und hatte sich nur gerade erhoben, um sich drüben etwas anderes zu angeln - schwupp, war die Schale stibitzt. Auch das wiederhole ich für uns alle.
Ich sehe es: Den Kinden ist vollkommen klar, was passiert ist. Ich spreche es noch einmal genauso aus. Dann: "Was habt ihr jetzt für eine Lösung?" Die Kinder bringen: Tauschen; mit der Eieruhr gestoppt spielt erst das eine Kind, dann das andere; "Ich bekomme die Schale!"... Keine Lösung gefällt dem jeweils anderen Kind. Und auch jetzt halte ich mich lange, lange zurück! Wir grübeln gemeinsam... Da kommt ein drittes Kind hinzu: "Einer könnte eine andere Schale nehmen!" Schon ist das andere Kind wieder weg. Die Idee steht im Raum. "Möchte jemand eine andere Schale nehmen?" greife ich die Idee auf. "Du. Ich will die Pommes-Schale!" Mist - festgefahren.
Da hilft nur eins: Bewegung um einen anderen Blickwinkel zu bekommen. Ich stehe auf, meine Beine sind mir eh schon fast eingeschlafen, und wende mich den vielen Fächern im Regal zu. Ich hole eine heraus, in der andere Behältnisse sind. "Ist hier was für euch drin?" Die Kinder wühlen und suchen - nichts entspricht ihnen. So hole ich ein zweites Behältnis heraus. Keine Ahnung, ob hier was Gescheites drin ist. Doch, oh Wunder: Nach einigem Suchen findet ein Kind eine blaue Schale. "Die ist gut!" sagt das andere Kind. "Die kannst du nehmen!" - Uiii, ob diese Aussage hilfreich ist? Doch: Sie ist es. Das eine Kind strahlt über beide Backen und hat die blaue Schale in der Hand. Ich frage: "Ist damit das Thema geklärt? Für dich?" Kind nickt. "Und für dich?" Anderes Kind nickt. Jetzt, und wirklich erst jetzt, darf das eine Kind mit der Hand wieder die Pommes-Schale nehmen. Bis dahin lag sie absolut unberührt am Boden in der Mitte. Während ich das Behältnis wieder aufräume, sind die zwei schon wieder an ihre alten Plätze zurück gekehrt. Nebeneinander spielt das eine Kind nun mit der Pommes-Schale, das andere mit der blauen Schale - beide sind eifrig ins Gespräch vertieft. Ich kann wieder gehen.
Wie immer beim Telos-Friedenskreis ist wichtig: Keine Partei ergreifen - beide Partner achten - davon ausgehen, dass sie eine Lösung wollen - keine eigenen Vorschläge bringen, nur ganz ganz zuletzt - die Lösung finden die Kinder selbst. Und was ist mit dem „aber…“, das manche Eltern wohl auf den Lippen haben? Was will denn das „aber“ sagen: Vielleicht „…aber ihr müsst euch auch in Zukunft einigen!“ – oder „Ihr habt das gut gelöst… aber warum habt ihr das denn nicht gleich gemacht, euch geeinigt?!“ – oder „… aber ich habe nun viel Zeit verloren mit dem langwierigen Friedenskreis, die mir wo anders nun fehlt!“. Die „abers“ zeigen meist etwas an, was fehlt, meist dem, der es ausspricht. Vielleicht ist das „aber“ der Hinweis auf fehlendes Zutrauen in die Friedfertigkeit der Kinder. Oder vielleicht empfindet der Erwachsene diese Zeit mit den Kindern als weniger wertvoll, als die andere Tätigkeit. Hilfreich ist es immer, der Ursache des „aber“ auf den Grund zu gehen. Und dann dort zu lösen, wo es gelöst sein will. Und dieser Ort ist – in den meisten Fällen – nicht das Kind…